Margit Ramus verkauft seit fast 40 Jahren gebrannte Mandeln auf Weihnachtsmärkten.
2013 schrieb sie gar eine Doktorarbeit über die Architektur und Dekoration auf den Weihnachtsmärkten.
Ein Gespräch mit Deutschlands einziger Schaustellerin, die gleichzeitig promovierte Kunsthistorikerin ist.
Interview: Frank Störbrauck
Frau Dr. Ramus, Sie sind die einzige Schaustellerin Deutschlands, die gleichzeitig promovierte Kunsthistorikerin ist. Wie um Himmels Willen bekommen Sie das alles unter einen Hut?
Meine Herkunft als Schaustellerin hat mir dabei sehr geholfen. Disziplin, Flexibilität, Mobilität und mein persönliches Organisationstalent waren dabei stets gefragt! Besonders mein Organisationstalent und mein eiserner Wille, angefangene Dinge erfolgreich zu Ende zu bringen, gaben mir die Kraft, zwei Fulltime-Jobs zu bewältigen. Außerdem hat mich meine Doktormutter Prof. Dr. Hiltrud Kier, die ehemalige Stadtkonservatorin von Köln, immer wieder unterstützt und angetrieben.
Um mich ins Studentenleben einzubringen, waren sicher auch meine emotionale Intelligenz (laut Frau Prof. Kier) und meine Lebenserfahrung hilfreich. Nun, nachdem ich mein Studium mit der Promotion erfolgreich abgeschlossen habe, ist es ja wieder etwas ruhiger geworden.
Sie haben im September 2013 ihr Studium mit einer Doktorarbeit über die Architektur und Dekorationen von Karussells und anderen Volksbelustigungen beendet. Kann man also mit Fug und Recht sagen, dass Ihr Herz für das Schaustellergewerbe schlägt?
Auf jeden Fall schlägt mein Herz für das Schaustellergewerbe, denn Schausteller[ei] ist keine Tätigkeit, sondern Schausteller ist man von Geburt an. Man kann es nicht werden, man hört es auch nicht auf zu sein. Dies ist mir besonders, je mehr ich während des Studiums in die wissenschaftliche Recherche zur Architektur und Dekoration im Schaustellergewerbe einstieg, stark bewusstgeworden.
Was hatte Sie damals eigentlich dazu bewogen, den heimeligen Weihnachtsmarktplatz mit der harten Uni-Bank zu tauschen?
Ich habe nie etwas eingetauscht, sondern beides bewältigt. In den Sommermonaten beschicke ich an den Wochenenden, und das seit mehr als drei Jahrzehnten, mit meinem Mandelverkaufswagen, der Süßen Lokomotive, Volksfeste in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, und ab Ende November mit Verkaufshütten zwei Weihnachtsmärkten in Köln. Während des Studiums plante ich meine Vorlesungen und Seminare so, dass ich ab Mittag fast immer selber in meinem Geschäft präsent war. Während der Recherche zur Doktorarbeit nahm ich mir die Freiheit, beiden Aufgaben gerecht zu werden. Dabei war natürlich mein Organisationstalent gefragt.
Wie sehen Sie die Architektur und Dekoration auf den Weihnachtsmärkten? Ist alles prima oder noch Luft nach oben?
Ich kann natürlich nur von Köln berichten. 2006/2007 begann die Stadt Köln damit, die Vergabe der einzelnen Weihnachtsmärkte erstmalig auszuschreiben. Die Bewerber bekamen die Auflage, die Dekoration auf ein spezielles Thema abzustimmen. So entstand am Alter Markt und Heumarkt der Weihnachtsmarkt der Kölner Heinzel-[Männchen], am Neumarkt der Weihnachtsmarkt der Engel, am Rudolfplatz der Märchenweihnachtsmarkt und ab 2010 der Weihnachtmarkt der Herzen unter einem Sternenzelt zu Füßen des Doms. Daneben gibt es noch einige kleinere Märkte. Ohne Zweifel hat sich das Gesamtbild der Weihnachtsmärkte durch diese innerstädtische Entscheidung positiv verändert. Die Architektur und die Dekoration der Verkaufshütten haben sich in den letzten Jahren enorm gewandelt. Der Besucherstrom ist expandiert. Sicher ist noch Luft nach oben, denn die Ideen der Veranstalter zum Verschönern im Detail werden sicherlich noch lange nicht stagnieren.
Seit fast 40 Jahren verkaufen Sie auf Volksfesten und Weihnachtsmärkten gebrannte Mandeln, Schokoladenfrüchte, Zuckerwatte und vieles mehr. Das hat in Ihrer Familie Tradition, nicht wahr?
Der Begriff Tradition sollte schon etwas Generations-Übergreifendes beschreiben. Es ist richtig, dass ich seit fast 40 Jahren Gebrannte Mandeln auf Kölner Weihnachtsmärkten verkaufe. Aber meine Familie ist in der 6. Generation primär Betreiber von Karussells oder anderen Fahrgeschäften auf Volksfestplätzen. Einen fundierten Beweis fand ich bei der Recherche zu meiner Doktorarbeit. Im Staatsarchiv von Gotha sind die Firmenunterlagen der ersten professionellen Karussellbaufirma Deutschlands aufbewahrt. Das erste Dokument, welches mir in die Hände fiel, war die Bestätigung eines Karussells-Ersatzteils, datiert auf den 11.11.1905, adressiert an meinen Ur-Ur-Großvater Josef Schoeneseifen Coeln-Sülz Auerbachbach 68. Dies hat mich natürlich besonders gefreut und motiviert. Daneben ist meine Familie seit 1972 dabei; das Jahr, in dem der Weihnachtsmarkt auf dem Neumarkt in Köln wieder ins Leben gerufen wurde. Meine Eltern verkauften damals Kölsche Spezialitäten, u.a. Leber- und Blutwurstbrote sowie Erbsen- und Linsensuppe. Ich begann mit Wolle, stieg aber schnell auf Mandeln um. Mittlerweile sind die Weihnachtsmärkte bei vielen Schaustellern als umsatzstärkste Zeit nicht mehr wegzudenken und voll in die Jahresplanung eingebunden.
Ihr Verkaufsstand ist alles andere als 0815. Sie verkaufen Ihre Leckereien in der Süßen Lokomotive. Was hat es damit auf sich?
Nach meiner Eheschließung übernahmen wir von meinen Eltern das Karussell, die Jaguar-Bahn. 1983 ließen wir uns als zweites Standbein von der Firma Heinrich Mack aus Waldkirch/Breisgau einen außergewöhnlichen Verkaufswagen in Form einer Lokomotive bauen. Die Süße Lokomotive ist im Original bis heute einzigartig auf europäischen Volksfesten geblieben. Er werden immer noch „Frisch-Gebrannte-Mandeln“, „Schokolierte-Früchte“, „Lebkuchen-Herze“ und viele Leckereien darin verkauft. Auf dem Weihnachtsmarkt sind jedoch einheitliche Hütten vom Veranstalter anzumieten. Die Innenausstattung obliegt jedem Aussteller. Der Kreativität, dem Geschmack und dem Geldbeutel sind dabei keine Grenzen gesetzt. Dadurch entsteht ein homogenes und doch interessantes Bild der Verkaufshütten.
Wenn man heute über einige Weihnachtsmärkte flaniert, hat man das Gefühl, dass viele Weihnachtsmärkte versuchen, eine eigene Nische zu finden. Wie sehen Sie die Entwicklung der Weihnachtsmärkte in den vergangenen Jahren?
Als Kunsthistorikerin bin ich fasziniert von der Ästhetik der dekorativen Gestaltung der Weihnachtsmärkte. Mir gefällt die verschiedene Thematik und ich sehe natürlich auch die lukrative, kommerzielle Entwicklung für die Mieter, die Betreiber und die gesamte Stadt. Wenn in Köln, wie auch in anderen Städten, zu Beginn der Weihnachtszeit die Weihnachtsmärkte ihre Pforten öffnen, strömen Millionen von Besuchern in die Städte.
Manche Besucher empfinden die vielen Menschen als anstrengend. Können Sie das nachvollziehen?
Ja. Aber ich finde es auch schön, so viele verschiedene Menschen zu sehen. Denn es sind die Menschen unterschiedlicher Länder, Religionen und Kulturen, Menschen aller sozialer Schichten und aller Altersgruppen, die einander treffen. Menschen, die sich betören lassen vom Geruch der gebrannten Mandeln und des duftenden Glühweins. Sie geben sich der wunderlichen Mischung von bunten Bildern, Geräuschen und Geschmackreizen hin. Sie genießen ganz besonders in meiner Heimatstadt, beim abendlichen Bummel über den Platz zu Füßen unseres Kölner Doms, oder über den Weihnachtsmarkt der Heinzel vor der Kulisse der mittelalterlichen Altstadt, den Reiz einer fast vergessenen weihnachtlichen Romantik. Auch mich fängt dieses Gefühl immer wieder ein.
Wo kann man Sie in dieser Weihnachtsmarktsaison persönlich kennenlernen?
Kommen Sie einfach mal vorbei. Ich bin immer in einer meiner Hütte präsent. Ich heiße Sie herzlich willkommen in meiner Weihnachtsbäckerei. Dort werden fortwährend köstliche, originale Brüsseler Waffeln gebacken. In meiner Süßen Apotheke riecht es verführerisch nach Anis, Salbei, Eukalyptus, Spitzwegerich und vielen anderen, gesunden, leckeren Kräuterbonbons und Kräutertees. Und natürlich in meinem Mandelhaus in die Nüsse aus aller Welt frisch gebrannt werden. Alle Zutaten sind aus biologischem Anbau. Ich verrate Ihnen ein kleines Geheimnis, in der Vorweihnachtszeit verwenden wir ausschließlich „kalorienfreien“ Zucker (sie lacht, die Red.). Wenn ich nicht am Weihnachtsmarkt am Dom sein sollte bin, pendele ich kurz zum Heumarkt. Auch dort, gegenüber der Eisbahn, biete ich mit Hilfe meines Enkelsohns köstlich gebrannte Nüsse in einem wunderschönen Ambiente der Biedermeierzeit an.
Haben Sie denn auch Zeit für einen Plausch?
Ich bin ja ein Organisationstalent, deshalb werde ich sicherlich Zeit für einen Plausch einrichten können. Ich freue mich schon auf Ihren Besuch.