Vom Gartenpavillon zum Karussell

Interview mit Dr. Margit Ramus mit Nicola Zellmer. Hannoversche Allgemeine Zeitung am 12.10.2013

 Vom Gartenpavillon zum Karussell:

Aus einer Laune heraus hat Margit Ramus die Architektur von Schaustellerbauten erforscht

Frau Ramus, Sie entstammen einer alten Schaustellerfamilie und verkaufen gebrannte Mandeln auf Volksfesten und Weihnachtsmärkten. Zusätzlich haben Sie gerade Ihre Promotion in Kunstgeschichte an der Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn abgeschlossen.

Wie kamen Sie vom Jahrmarkt zur Wissenschaft?

Nach dem Tod meines Sohnes, der 1991 im Alter von 19 Jahren verstarb, veränderte sich meine Lebenssituation. Damals habe ich angefangen, Geschichten über meinen Sohn zu schreiben und habe mit 44 Jahren aus einer Laune heraus gesagt, ich will nochmal zur Schule. Drei Jahre lang war ich mit 17- bis 19-Jährigen zusammen auf einer privaten Jungenschule in Bonn-Bad Godesberg.

Nachdem ich mit 47 Jahren mein Abitur gemacht habe, schrieb ich mich an der Uni Bonn für Kunstgeschichte, Germanistik und Geschichte ein.

Und mit Ihrer Magisterarbeit haben Sie dann wieder den Bogen zum Schaustellergewerbe geschlagen?

Ja, meine Betreuerin Frau Prof. Dr. Hiltrud Kier hat mich ermuntert, meine Magisterarbeit über die ersten Karussellbauten zu schreiben. Während der Recherche sammelte ich so viel Material, dass mir Frau Prof. Kier vorschlug, dies in einer Doktorarbeit zu bearbeiten. Die Arbeit wurde gerade unter dem Titel „Architektur und Dekoration im Schaustellergewerbe“ fertiggestellt.

Wie gut ist die Geschichte der Schausteller erforscht?

Über die Geschichte der Schausteller ist schon oft, meist in Festschriften etwas geschrieben worden. Es gibt jedoch nur wenige wissenschaftliche Arbeiten. Ich bin die erste Wissenschaftlerin, die Karussells und andere Volksbelustigungen aus kunsthistorischer Sicht betrachtet und analysiert hat.

 Was lässt sich über die Bauformen der Schaustellergeschäfte auf Jahrmärkten sagen?

Die Bauformen von Karussells und anderen Volksbelustigungen finden in der Architektur ihre Vorbilder. Es gibt vier Grundformen: Rundbauten, Hallenbauten, Skelett- und Pavillonbauten.

Das Karussell zum Beispiel hat sein Vorbild in den Rundbauten der Gartenpavillons der Feudalgesellschaft.

Der Hallenbau des Autoskooters erinnert an die Markthallen und Bahnhöfe des 19. Jahrhunderts. Der Eiffelturm, der für die Weltausstellung von 1889 in Paris konstruiert worden war ist als Vorbild für die Skelettbauten der Achterbahnen, Riesenräder und Türme zu nennen.

 Es gibt also viele Parallelen mit der traditionellen Architektur. Gilt das auch für die Gestaltung von Fahrgeschäften und anderen Volksbelustigungen?

Ja. Die Dekoration lässt sich mit der Kunst vergleichen. Bis zum Zweiten Weltkrieg wurden alle Karussells, Verkaufs- und Spielgeschäfte im neubarocken Stil gestaltet. Ab den 1950er Jahren kann man die Stilströmungen der Moderne auch an den Dekorationen im Schaustellergewerbe festmachen. Direkt nach dem Krieg ist man von der gegenständlichen zur abstrakten Malerei übergegangen und von kleinen Bildtafeln zu größeren Gemälden. Etwa beim Fahrgeschäft „Raupe“. Die wurde vor dem Zweiten Weltkrieg entwickelt. Erst hatte sie eine neubarocke Dekoration, nach dem Krieg wurden die Bildtafeln dann mit geometrischen Mustern übermalt.

Was hat Sie bei Ihren Recherchen am meisten überrascht?

Dass es zwei Blüten im Schaustellergewerbe gibt. Die Erste begann 1883 und endete 1926: Der Karussellbauer Fritz Bothmann hat damals schon Karussells in alle Welt verschifft. Die zweite Blüte begann nach dem Zweiten Weltkrieg in Westdeutschland. Mit dem Wirtschaftswunder gab es wieder Bedarf an Vergnügungen, es gab Elektrizität, Leuchtstoffröhren und Rock’n Roll-Musik auf dem Jahrmarkt. In Ostdeutschland dagegen erfolgten so gut wie keine Neubauten. Die Vorkriegsmodelle wurden hergerichtet und repariert. Dabei wurde oft die neubarocke Dekoration mit abstrakter Malerei überstrichen.

Was sagen Sie zu der Initiative der Schaustellerverbände, Volksfeste als Weltkulturerbe anerkennen zu lassen?

Ich würde das begrüßen und ich hoffe, dass meine Arbeit ein Baustein zur Anerkennung des Volksfestes als Kulturgut sein kann.

Danke für das Interview