Anerkennung der Volksfeste als Immaterielles Kulturgut – eine Stellungnahme

Warum haben wir uns beworben? Lautet die Überschrift eines Artikels des Deutschen Schaustellerbunds im Komet vom 20. Juni 2014.

Als aktive Schaustellerin und promovierte Kunsthistorikerin stellte ich mir in der jüngsten Vergangenheit auch schon einige Male diese Frage. Besonders bewegte mich der Gedanke, inwieweit die Initiative zur „Anerkennung des Volksfestes als immaterielles Kulturgut das Ansehen unseres Berufstandes nach außen verändern wird.

Beim Lesen des Artikels fielen mir zur Begründung des DSB einige Ergänzungen ein:

  • Tatsache ist, dass Volksfeste,  die in den einzelnen Regionen Kirchweih, Kirmes, Messe, Dult oder  Jahrmarkt genannt werden, zum Kulturgut unserer Geschichte zählen. Dies lässt sich mit einem Blick in die Historie deutscher Volksfeste belegen.

In einigen Publikationen wurde bereits beschrieben, dass die im Laufe der Zeit entstandenen Jahrmärkte ursprünglich meist mit kirchlichen Festen zur Erinnerung an die Weihe einer Kirche oder mit dem Patronatsfest eines Heiligen verbunden waren. Zu den ältesten verbrieften Volksfesten gehören das Lullusfest in Bad Hersfeld, das Kilianifest in Würzburg, der Bremer Freimarkt u.a.

Aber nicht alle Volksfeste haben ihren Ursprung in religiösen Festen.

Im Laufe meiner Recherche zum Thema Kulturgut Volksfest entdeckte ich ein Schriftstück, in dem die Genehmigung zu einem Jahrmarkt in der Gemeinde Essen-Werden durch Kaiser Otto II. bereits im Jahre 974 beurkundet wird.

Es ist außerdem überliefert, dass im 12. und 13. Jahrhundert in damaligen deutschen Einzelstaaten viele Freibriefe oder Privilegien für Jahrmärkte durch königlichen Erlass oder Gesetz geschaffen wurden. Im 14. Jh. entstanden aus dem Schießsport die ersten Schützenfeste. Ab dem 19. Jh. bildeten sogenannte Höfische Feste eine weitere Klasse der Festkultur. Anlässe waren Feierlichkeiten der Feudalgesellschaft wie z.B. das Münchner Oktoberfest welches als Festakt zur Hochzeit von Kronprinz Ludwig I. von Bayern und Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen im Jahre 1810 auf der Theresienwiese mit der gesamten Münchner Stadtbevölkerung prunkvoll gefeiert wurde, oder das Nürnberger Volksfest, welches 1826 anlässlich des Geburts- und Namenstags von König Ludwig I. eingeführt wurde.

  • Tatsache ist, dass schon im Mittelalter der Jahrmarkt kulturpolitisch eine besondere Stellung im sozialen und kulturellen Leben in der Stadt einnahm. Während der Fest- und Markttage strömte die Landbevölkerung in die Städte. Die Menschen nutzten nach dem Besuch der Messe, die meist in der Domimmunität aufgebauten Waren- oder Krammärkte zum Essen, Trinken, Tanzen, sonstigen Lustbarkeiten und Schaustellungen. Es entwickelte sich der Jahrmarkt als Ort des Friedens, der Freude und des freien Handels. Er diente nicht nur dem Warenaustausch zwischen Stadt und Land, sondern war auch Nachrichtenbörse, Heiratsmarkt und Zentrum der kulturellen Kommunikation. Die Bedeutung des Jahrmarkts als Kulturspiegel einer jeden Zeit, in der sich der Glanz der Spielleute, der Moritatenmaler, der Bänkelsänger und Gaukler, der Orgelromantik und der Schaustellerei dem sozialen Leben der einfachen Bevölkerung anpasste, konnte ich in meiner Arbeit verdichten..
  • Tatsache ist, dass die Stadtväter schon früh den Jahrmarkt als lukrative Geldeinnahme für die Kommunen erkannten und ihn offiziell als altes Brauchtum pflegten und bewahrten.

Zusammenfassend kann man sagen, dass die kulturelle Einzigartigkeit der deutschen Volksfesttradition alle Verantwortlichen, denen die Heimatkunde unseres Landes am Herzen liegt, geradezu verpflichtet, Volksfeste zu schützen um damit ihre Fortführung zu sichern.

Neben dieser traditionellen Bedeutung habe ich in meiner wissenschaftlichen Arbeit über das „Kulturgut Volksfest“ den Beweis erbracht, dass über den Begriff „Immaterielles Kulturerbe“ hinaus, auch eine direkte Verbindung der „Volksfest-Kunst“ zur klassischen Kunst besteht. Deshalb wurde von der namhaften Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn die „Volksfest-Kunst“ als wissenschaftliches Thema in der Kunstgeschichte erkannt und anerkannt.

Dies setzte voraus, dass ich in meiner umfangreichen Doktorarbeit belegen konnte, dass die Bauformen und Dekorationen von Schaustellergeschäften ihre Vorbilder in der traditionellen Architektur und bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts haben. Somit erfolgte auf den Volksfesten eine Popularisierung der Hochkultur der Feudalgesellschaft und oberen Bürgerschaft zur Massenvolkskultur der Gegenwart, die für jedermann zugänglich ist.

Meine Recherchen ergaben, dass bis in die 1940er Jahre alle Schaustellergeschäfte mit neubarocken Stilelementen und Malereien dekoriert waren. Nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute werden jedoch auch auf den Volksfestplätzen, parallel zu den Kunstströmungen der traditionellen Kunst, gegenstandlose, naive, humoristische, expressive, futuristische Malerei sowie Pop Art, optische Kunst und andere Analogien angewandt.

Das Faszinierende ist, dass die Stilrichtungen, die auf dem Kunstmarkt als anerkannte Strömungen auftauchen, auch auf den Volksfestplätzen zu sehen sind. Die Hochkultur wird zur Populärkultur.

Warum also haben wir uns beworben? Ohne Zweifel liegt uns als Schaustellergewerbe-Betreibenden daran, das Volksfest als Betriebsstätte zu sichern, um uns und unseren Kindern eine redliche Zukunft zu ermöglichen. Außerdem möchten wir unsere Tradition pflegen. Aber dazu müssen wir uns den neuen Ansprüchen stellen. Deshalb haben wir uns beworben!