Muttertag

Ein ganz besonderer Muttertag

Ich lag schon eine Weile wach im Bett und träumte mit offenen Augen vor mich hin. Muttertag, dachte ich. Ein besonderer Tag…
Einer der Schönsten im Leben einer Mutter; ein Tag an dem der Mutter für all ihre Liebe gedankt wird.
Wie würde mein Tag aussehen? 
Ich lebte allein und würde auch heute allein bleiben.
Wie seltsam, früher hatte ich den Muttertag immer als eine Selbstverständlichkeit angesehen. Erst seit ich ihn nicht mehr in den Kreisen meiner Familie erleben konnte, hatte er für mich einen besonderen Wert bekommen. Melancholie erfüllte meine Sinne.
Nur jetzt nicht weinen…

Ich hatte doch so viele schöne Muttertage erlebt. Schon als Kind, war es mir und meinen Geschwistern immer eine große Freude gewesen, unsere Mutter mit einem festlich gedeckten Frühstückstisch zu überraschen.
Neunzehn Jahre hatte auch ich dieses Glück erlebt, dann war Peter gestorben und sein leerer Platz am ersten Muttertag nach seinem Tod, ließ mich in Tränen ausbrechen. Ein Jahr später war meine Tochter Yvonne selber schon Mutter und hatte ihren eigenen Frühstückstisch. Dann nach der Trennung von meinem Mann, gab es für mich keinen gedeckten Muttertagstisch mehr.
Nur nicht zurückdenken, nahm ich mir vor. Ich würde es mir heute auch alleine gemütlich machen. Es war nicht so einfach, denn in den letzten Tagen begegnete man überall den Ankündigungen des Muttertages. Die Medien quollen über mit Reklame, Geschenkideen und Informationen. Ich las, dass vor ungefähr 300 Jahren der erste Muttertag in England gefeiert worden war, später folgte Amerika und seit 1922 wurden auch in Deutschland die Mütter besonders an diesem Tag verwöhnt.

 „Mama, dieser Tag gehört Dir!“ würden heute unzählige Kinder sagen und diesen Tag im Wonnemonat Mai zu etwas besonderem machen.
Ich verließ mein Bett, schaltete das Radio und die Kaffeemaschine ein, ließ mich im Nachthemd an meinem leeren Esszimmertisch nieder und meine Gedanken wanderten nun doch zurück.

„Wo ist denn die Mama?“ fragte Yvonne.
„Psss, leise, die Mama schläft noch,“ hörte ich meinen Sohn antworten. 
„Was machst du denn da, Peter? Warum deckst du denn den Tisch?“ 
„Du bist aber dumm, heute ist doch Muttertag!“ sagte Peter. 
„Ach ja, das habe ich fast vergessen. Ich habe doch etwas für die Mama gebastelt. Das will ich ihr gleich schenken.“ Hörte ich die Kleine aufgeregt sagen. 
„Nein, jetzt noch nicht“ erklärte Peter seiner Schwester ziemlich altklug. „Wir wollen erst den Tisch decken und dann die Mama wecken“.

Ich lag wach im Bett und lauschte den Stimmen meiner Kinder aus der Küche.

 „Pass doch auf! Die Mama schimpft, wenn eine Tasse kaputt geht“, wurde Peter von seiner jüngeren Schwester ermahnt.

Schon wollte ich, in Anbetracht meines guten Porzellans, aus dem Bett springen, aber mein Mann, der inzwischen auch wach geworden war, hielt mich zurück. „Lass ihnen doch die Freude,“ meinte er und wir beide folgten neugierig den Geräuschen.

 „Sollen wir auch Kaffee kochen?“ flüsterte Yvonne.
„Klar, die Maschine läuft doch schon. Meinst du zwei Löffel Kaffee reichen?“ vergewisserte sich Peter.
Wir hörten Geschirr klappern, Besteck klirren und Schränke wurden auf und zu gemacht.
 „Wie lange kocht Mama denn immer die Eier?“ fragte Yvonne.
„Woher soll ich das denn wissen. Ich denke, zehn Minuten reichen, dann werden sie schon schön weich sein.“

Ich konnte mich kaum noch im Bett halten und hielt mir lächelnd die Decke vor den Mund um nicht zu verraten, dass ich die ganze Szene in der Küche belauschte. Ein Glücksgefühl rieselte durch meinen Körper und ich gab mich ihm ganz hin und genoss diesen wunderschönen Augenblick.
Es würde bestimmt der bekömmlichste Kaffee und die weichgekochtesten Eier sein und ich empfand es als einen der glücklichsten Momente im Leben als Mutter…

Längs war der Kaffee durchgelaufen. Meine Träumereien hatten mich die Zeit vergessen lassen. Ein Lächeln lag auf meinem Gesicht.
Was bleibt sind die Erinnerungen!
Ich wollte aber heute nicht traurig sein. Zufriedenheit hatte sich in der letzten Zeit in meiner Seele breit gemacht und ich war sehr froh, dass ich meine Erinnerungen hatte. Leichte Melodien aus dem Radio untermalten meine Stimmung und die Sonne schaute vorwitzig hinter einigen Wolken hervor, ihre Strahlen, die durch die großen Fenster fielen, tauchten meine gemütliche Wohnung in ein warmes Licht.
Ich nahm ein kleines Buch in die Hand, mit dem Titel: „Für Dich, weil Du etwas Besonderes bist!“ Eine Freundin hatte es mir vor einigen Tagen geschenkt und mir damit eine große Freude gemacht.

Plötzlich schellte es, ich erwartete niemand und war ziemlich erstaunt.
Versteckt hinter einem riesigen Blumenstrauß entdeckte ich Yvonne, meinen Schwiegersohn und auf seinem Arm die vierjährige Vivien. Die Tränen schossen mir in die Augen. Aber mein Enkelkind rief mit zarter Stimme:
„Warum weinst Du denn Oma? …Wir haben doch heute Muttertag!“
Die drei ahnten nicht, welch schönen Muttertag sie mir bescherten. Er würde als ein ganz Besonderer in meiner Erinnerung bleiben.      
12. Mai 1996

© Margit Ramus