Zwischen zwei Welten

WAZ Ausgabe Cranger Kirmes    Heidi Engels 12.08. 2006

Margit Ramus ist Schaustellerin – und das mit Leib und Seele. Fast das ganze Jahr reist sie von einem Jahrmarkt zum nächsten, verkauft Mandeln und kümmert sich um ihr Personal. Und nebenbei ist sie Akademikerin. An der Universität Bonn schreibt sie ihre Doktorarbeit, in etwa einem Jahr will sie fertig sein.

„Es fällt mir nicht schwer den Hebel umzulegen, man muss es nur organisieren“, lacht die 55-Jährige. Ihre Augen strahlen herzlich, immer hat sie ein Lächeln im Gesicht. Das Schaustellergewerbe ist Margit Ramus Heimat, damit ist sie aufgewachsen. Ihre Eltern betrieben zuerst einen Schießwagen, später kam noch ein weiterer hinzu. Wie ihre Geschwister ist auch Margit Ramus der Kirmes treu geblieben. Heute führt sie zwei Mandel- und Süßigkeitenstände: Die Mandel-Lokomotive ihrer Tochter und ihren eigenen Laden. Das heißt Bestellungen aufgeben, das Personal betreuen, Äpfel kandieren und schließlich selbst Mandeln verkaufen – von früh bis spät. Zurzeit steht die Süße Lokomotive auf der Cranger Kirmes in Herne, bis Sonntag noch. Auf dieser Kirmes übernachtet sie auch vor Ort, eine Ausnahme. Denn normalerweise fährt sie zurück nach Porz, ihrer Heimatstadt. Auch das Personal bleibt vor Ort. Hinter dem Verkaufsstand steht ein LKW, ausgerüstet mit Betten, Dusche und WC.

Doch statt nach dem langen Arbeitstag auf der Kirmes einfach todmüde ins Bett zu fallen, schreibt Margit Ramus außerdem an ihrer Doktorarbeit – als wäre es selbstverständlich. Und natürlich geht es darin um das Schaustellergewerbe.Karussell und Kirmes haben eine lange Tradition,“ so die Kunsthistorikerin. Schon in ihrer Magisterarbeit beschäftigte sie sich mit den Dekorationen des Karussells. In der Doktorarbeit will sie das Thema erweitern und bis zu den Ursprüngen des Kirmesgewerbes zurückgehen. Die akademische- und die Jahrmarktwelt miteinander zu verbinden war für Margit Ramus nicht immer leicht: Auf der Kirmes wusste von ihrem Studium bis zur Magisterarbeit nur der engste Familienkreis. „Für viele Schausteller ist auch heute die Bildung einfach nicht wichtig. Häufig nehmen sie ihre Kinder von der Schule, sobald die Pflichtzeit um ist“, bedauert Ramus.

An der Universität will sie mit dem Klischee des unehrenhaften, fahrenden Gesindels aufräumen. Sie sieht sich selbst als Geschäftsfrau eines mittelständischen Unternehmens. Erst mit 44 Jahren begann sie ihr Studium, Kunstgeschichte, Germanistik und Geschichte in Bonn. Grund dafür war der Tod ihres Sohnes: „Das war meine Art der Trauerbewältigung“, sagt Ramus ernster, das herzliche Lachen verschwindet für einen Moment von ihrem Gesicht. Mit ihren Händen hält sie den Anhänger an der roten Halskette fest, darauf ist das Portrait ihres Sohnes graviert. Sie begann Kurzgeschichten zu schreiben, über das Leben auf dem Jahrmarkt und merkte schon bald, dass ihr das Schreiben alleine nicht ausreicht. Sie wollte weitergehen und schrieb sich an der Universität Bonn ein.

Über den Tod ihres Sohnes will Margit Ramus nicht sprechen. Aber gerne erinnert sie sich an Anekdoten aus seinem Leben: „Einmal kam er mitten in der Nacht nach Hause und ich sollte das Taxi zahlen. Ich hatte ihm auch immer gesagt, dass er mit dem Taxi nach Hause fahren kann. Aber mit etwa 150 Mark habe ich dann doch nicht gerechnet“, erinnert sie sich schmunzelnd.

Zusammenhalt in der Familie ist Margit Ramus wichtig. Ihre Tochter übernahm die Süße Lokomotive, die sie einst mit ihrem Ex-Mann bauen ließ. Und neben Jahrmarkt und Uni kümmert sie sich auch noch um ihre Enkelkinder, mittlerweile ist sie vierfache Oma. Stress scheint für sie ein Fremdwort zu sein: „Wäre ich nicht ein Schaustellerkind gewesen, dann würde ich Beruf, Universität und Oma sein niemals unter einen Hut bekommen“, ist sich die gebürtige Porzerin sicher, stolz darauf Akademikerin und Schaustellerin zu sein.