Schausteller

Ramus, Margit: Schausteller In: Szabo, Sacha, Kultur des Vergnügens. Bielefeld 2009, S. 209-223

Leseprobe:

Schausteller    Fahrendes Volk von einst

Zur Sozial- und Kulturgeschichte einer jeden Stadt gehört seit dem frühen Mittelalter das ‚Fahrende Volk’.  Zu ihm zählten: Gaukler, Spielleute, Moritatenmaler, Bänkelsänger, Kunstreiter, Seiltänzer, Tierbändiger, Henker, Händler, Scherenschleifer sowie Ärzte oder Quacksalber. Die Fahrenden standen nicht unter dem Schutz des bürgerlichen Gesetzes, durften nicht die Tracht des freien Mannes tragen und waren vom Empfang der Heiligen Sakramente ausgeschlossen. Dennoch waren ihre Darbietungen, Schaustellungen oder auch Dienstleistungen bei Arm und Reich, Jung und Alt, beim gesamten Volk sehr beliebt.

Unbestritten gehören das fahrende Volk und die schillernde Welt des Jahrmarkts zu den Kulturgütern unserer Gesellschaft, aber reicht das gesellschaftliche Ansehen aus, um auch eine wissenschaftliche Anerkennung zu erreichen?

Es gibt im deutschen Sprachraum nur wenige wissenschaftlich fundierte Arbeiten über das Schaustellergewerbe. In der zur Verfügung stehenden Literatur werden mit einigen Ausnahmen, die regionalen Geschichten der Jahrmärkte, ihren Beschickern sowie die Entwicklung der unterschiedlichsten Volksbelustigungen meist von Freunden und Gönnern der Schausteller behandelt. Ausnahmen sind Publikationen über das „Fahrendes Volk“ von Hermann Arnold[1], oder die Dissertation „Schausteller. Volkskundliche Untersuchung einer reisenden Berufsgruppe im Köln-Bonner Raum“ von Michael Faber[2]. Die Geschichte der Entstehung und Entwicklung der Schaustellergeschäfte bis in die 80er Jahre ist von Florian Dering[3] umfassend und als wichtigste deutschsprachige Quelle bearbeitet worden.

Nur wenige Wissenschaftlicher bekennen, dass beim ‚Fahrenden Volk’ der Ursprung einer Vielzahl ‚ehrenwerter’ Berufe liegt und technische Innovationen meist auf Jahrmärkten dem Volk vorgestellt worden sind. Zum Beispiel thematisiert Oliver Hochadel, Dozent an der Universität Wien in seiner Publikation vom „Wissenschaftlichen Schausteller“[4] die Verbreitung von wissenschaftlichen Demonstrationen auf dem Jahrmarkt. Auch der französische Historiker Zeev Gourarier bekennt die Verbreitung von technischen Innovationen wie der Phonograph, der Röntgenstrahlen, des Heißluftballons, das Automobil oder das Flugzeug auf dem Jahrmarkt[5].

 Ebenso können ‚ehrbare’ und akademische Berufszweige zu den Fahrenden ins Wandergewerbe zurückverfolgt werden. Barbiere oder Quacksalber zogen mit Pferd und Wagen von Jahrmarkt zu Jahrmarkt und versorgten die Menschen medizinisch, verkauften Wunderheilmittel in Form von Pulver und Salben und stellten Abnormitäten zur Schau.

Von Jahrmarkt zu Jahrmarkt wanderten ebenfalls Bänkelsänger, um lange vor den gedruckten Zeitungen die neuesten Nachrichten zum Zeitgeschehen zu verbreiteten. Sie stillten die Neugier und Sensationslust der Bevölkerung durch Kundgebung von Schauergeschichten über Verbrechen, Moritaten, Familientragödien und sonstige Katastrophen. Dazu zeichneten die Moritatenmaler Karikaturen und Werbetafeln, die in Wort und Bild die verbalen Nachrichten unterstützten und zum Kauf von Druckschriften oder Bilderbögen anregten.

Zum jährlich stattfindenden Jahrmarkt gastierten auch Wanderbühnen. Zu ihnen gesellte sich einst Johann Wolfgang von Goethe. Später wurden die Wanderbühnen von Hoftheatern und stationären Nationaltheatern abgelöst und aus dem Wanderschauspielern wuchs der Berufsschauspieler heran.

Seit dem 16. Jahrhundert erfreute sich der Guckkasten großer Beliebtheit. In dessen Miniaturwelt vermochten schaurige Szenen, ausländische Städte, Schlachten und Schönheiten, sternklare Nächte und sonnige Tage bewundert werden. Dem Guckkasten folgte die revolutionäre Erfindung der Laterna Magica. Diese Zauberlaternen funktionierten ähnlich der modernen Tageslichtprojektoren. Spezielle Szenerien wurden auf Glasplatten gemalt, um allseits bekannte Geschichten zu illustrieren. Deren Nachfolge fand im Kinematograph ihren nächsten Höhepunkt. Der Durchbruch erfolgte, indem dem einfachen Volk auf Jahrmärkten die ersten beweglichen Bilder vorgeführt wurden. Weitere Beispiele könnten aufgeführt werden, aber die kleine Auswahl zeigt bereits, dass unsere kulturellen Güter ihren Ursprung beim Fahrenden Volk belegen kann.

Fortsetzung im Aufsatz

[1] Arnold;  [2] Faber;  [3] Dering;  [4] Hochadel;  [5] Gourarier